Xenon Kino Berlin

Filmkunstkino in Berlin-Schöneberg

Die unbarmherzigen Schwestern
»The Magdalene Sisters« SCO / IRL 2002 • 119 Min.
Regie: Peter Mullan (s.a. »Don vs. Lightning« (2021))
Buch: Peter Mullan
mit: Geraldine McEwan (s.a. »Food Of Love« (2001)), Anne-Marie Duff (s.a. »Suffragette« (2015)), Dorothy Duffy, Eileen Walsh, Peter Mullan (s.a. »Don vs. Lightning« (2021))
Kamera / Bildgestaltung: Nigel Willoughby
Schnitt / Montage: Colin Monie
Musik: Craig Armstrong (s.a. »Eiskalte Engel« (1999))
Goldener Löwe Bester Film Venedig 2002

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Habt Erbarmen, Schwestern! Die Magdalenen-Heime in Irland wurden geleitet von den Barmherzigen Schwestern (Sisters of Mercy). Ihr Auftraggeber: die katholische Kirche. Familien und Waisenhäuser schickten dorthin junge Mädchen. Waren sie erst einmal dort, wurden sie eingesperrt und mussten in Wäschereien die Wäsche für Hotels, Universitäten und anderen Institutionen reinigen, um dabei ihre Sünden zu bereuen. Diese »Sünden« waren unterschiedlichster Art: Ausreichend war die Tatsache, eine unverheiratete Mutter zu sein oder zu hübsch oder zu hässlich. Zu dumm oder zu schlau. Oder das Mädchen war Opfer einer Vergewaltigung und hatte es gewagt, darüber zu sprechen. Um diese Sünden zu bereuen, arbeiteten die Mädchen 364 Tage im Jahr ohne jeden Lohn, man liess sie hungern, sie wurden geschlagen, verspottet und vergewaltigt. Und ihre neugeborenen Kinder wurden ihnen weggenommen - wenn es sein musste, mit Gewalt. Ihre Strafe war unbeschränkt - oft lebenslänglich. Tausende von Frauen lebten und starben in diesen Anstalten. Das letzte Magdalenen-Heim in Irland wurde 1996 geschlossen, vor gerade einmal sechs Jahren.

Dieser Film erzählt die Geschichten von vier dieser jungen Frauen in den 60er-Jahren, einer Zeit, die irrtümlich von vielen Menschen noch immer für eine Ära grenzenloser Frauenbefreiung gehalten wird. Diese jungen katholischen Frauen finden sich wieder in einem nahezu mittelalterlichen Albtraum, während die Welt draußen stillschweigend einen theokratischen Staat duldet - oder zuweilen auch aktiv unterstützt. Wir sehen, wie sich die Persönlichkeiten dieser Frauen entwickeln in einer Umwelt, die kontrolliert ist von unverheirateten Frauen, Dienerinnen Gottes, Bräuten von Jesus Christus. Soweit es in ihren Kräften steht, lassen sich die Mädchen nicht unterkriegen. Aber was ist das für ein Sieg, wenn sie eingesperrt bleiben und nicht mehr sind als Sklaven? Eine schafft es, auf herzzerreissend banale Weise freizukommen, eine wird in die Psychiatrie eingeliefert, zwei schliesslich rebellieren und laufen davon. In die Freiheit.

Hunger, Prügel und sexueller Missbrauch führten zu zahlreichen Ausbrüchen und in den 50er- und 60er-Jahren auch zu Aufständen in den schottischen Magdalenen-Heimen. Einige der zehn irischen Anstalten wurden in den 70er-Jahren geschlossen. Verantwortlich dafür waren zum einen der Konsum-Boom und die Tatsache, dass nun in fast jedem Haus eine elektrische Waschmaschine stand. Darüber hinaus verlor die katholische Kirche zusehends die strenge Kontrolle über die irische Gesellschaft. 1996 wurde das letzte Magdalenen-Heim geschlossen. In ihm lebten auch danach immer noch 40 bis 50 Frauen, die für ein Leben außerhalb der Institution nicht gerüstet waren. Bis zum heutigen Tag hat die katholische Kirche sich nicht offiziell bei früheren Magdalenen-Frauen entschuldigt, geschweige denn, ihnen eine Entschädigung angeboten. Viele der Frauen haben Irland verlassen, um in England oder anderswo ein neues Leben anzufangen. Man schätzt, dass etwa 30 000 Frauen in den Magdalenen-Heimen lebten - und starben ...

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1997 schrieb die Liedermacherin Joni Mitchell den wunderbaren Song »The Magdalene Laundries«, der seitdem als inoffizielles Protestlied der Überlebenden der Magdalenen-Wäschereien gilt.

MEIN LEBEN ALS SKLAVIN IN EINEM KLOSTER-KZ
Emanuela Audisio, La Repubblica 13/09/2002

Heute ist sie 70 Jahre alt: »Ich habe meine Stimme oft erhoben, aber keiner hat mir geglaubt. Meine Würde und Identität habe ich verloren: Ich glaube an Gott, nicht an die Kirche.«
»Sehen Sie mich an: Ich bin eine echte Maria Magdalena, kein Gespenst. Ich bin eine der Frauen, von denen Peter Mullans Film erzählt, der den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen hat. Eine der Sklavinnen, die lebendig begraben waren in den Klöstern, die die Barmherzigen Schwestern im Namen der katholischen Kirche führten. Die arbeiten mussten, um ihre Sünden wegzuwaschen: 9 Stunden am Tag, an jedem Tag außer am Sonntag. Keine Hure, keine Irre und keine Waise.«
»Nur eine, die sich erlaubt hatte, ungehorsam zu sein. Meine Sünde? Ich bin ohne Erlaubnis ins Kino gegangen. Es gibt uns wirklich, uns Magdalenen, sie haben uns anders genannt, aber ich heiße Mary. Ich bin 70 Jahre alt, und 1985 war ich die Erste, die darüber sprach, ich rief die Zeitungen an, die Radiosender, keiner glaubte mir. Schlechtes über die Nonnen sagen? Das durfte man nicht tun, nicht im katholischen Irland, wo sie immerhin 30.000 Magdalenen in ihrer Obhut gehabt hatten. Viele wollten lieber wegsehen, auch 1996 noch, als das letzte Kloster geschlossen wurde, trotz mehrerer Reportagen, trotz vieler Lieder. Es ist ein bisschen so wie in Deutschland unter der Naziherrschaft, als die anständigen Leute behaupteten, sie wüssten nichts und alles taten, um nichts zu wissen. Es gibt noch mehr Frauen wie mich, aber sie halten den Mund, sie schämen sich, sie wollen sich nicht erinnern. Die armen Magdalenen, sie würden lieber sterben als reden. Heute sind auch schon fast alle tot: Der Schmerz, das Leid, der Wahnsinn haben die Übriggebliebenen dahingerafft. Viele sind schwachsinnig geworden, vegetieren in Heimen wie greise Mädchen. Aber ja doch: Die Schlechten sind ja jetzt die Moslems, das Böse ist der Islam. Yes Father, ja Vater, sagte meine Mutter immer. Zum Pfarrer konnte man nicht nein sagen.«
Mary, wie oft? »Wie oft habe ich gedacht, dass es an mir liegt? Oft. Ich habe eine Freundin in London besucht, auch eine Magdalena, ihr Kind weinte, und sie hat in aller Ruhe angefangen, es zu schlagen. »Was machst du?« habe ich gefragt. »So haben sie es doch auch mit uns gemacht, damit wir still sind«, hat sie geantwortet. Nicht wegen der Schläge oder der vielen Arbeit mache ich den Schwestern Vorwürfe. Was einem für immer bleibt, sind die Wunden in der Seele.«
»Die Arbeit war hart: Es war eine echte Wäscherei. Die Wäsche kam aus den Krankenhäusern, voller Blut, und wir hatten keine Handschuhe. Die Nonnen verdienten ein Vermögen und wir keinen Pfennig. Ich war zwei Jahre dort, ohne Lohn. Dank einer Tante aus Amerika, die sich immer wieder nach mir erkundigte, wurde ich gerettet. Aber meine Brüder sind Alkoholiker geworden und sind tot: Einer ist im Bett beim Rauchen eingeschlafen und verbrannt, einer bei einer Schlägerei zu Tode gekommen. Ich sage nicht, dass nur die Kirche schuld daran ist, aber das, was sie durchgemacht haben, hat ihnen auch nicht geholfen, zu Menschen zu werden. Kann man aufhören, eine Magdalena zu sein? »Schwierig. Ich ging nach England, habe geheiratet, aber nach einer Weile ist alles schiefgegangen, ich wurde depressiv und endete beim Psychiater. Ich konnte die Vergangenheit nicht loswerden, ich hatte sie verdrängt, aber sie war da und bedrückte mich. Meinen derzeitigen Mann habe ich 1967 getroffen, ich bekam eine Tochter, und dadurch wurde alles anders. Ich hatte gedacht, ich könnte mich nicht mehr befreien von meinem Hass auf die Schwestern, aber ich habe es geschafft, sonst hätten sie am Ende gewonnen, denn wie ich schon gesagt habe, es gab und gibt auch gute Ordensfrauen.

Den Leuten sage ich: »Schämt euch nicht für eure Wut, ihr habt ein Recht darauf, lasst euch nicht von der Bitterkeit auffressen.« Viele von uns schämen sich immer noch dafür, dass sie so aufgewachsen sind. Aber die Schande ist die Schande der katholischen Kirche, denn sie haben die Anweisungen gegeben und dieses ganze Elend zugelassen. Wenn wir Böses getan haben, dann tut es uns leid, sagt die Kirche heute. Was heißt hier wenn? Wir, die Magdalenen, haben uns nichts ausgedacht. Glaubt der Vatikan wirklich, der Film sei übertrieben? Da ist mir die Haltung von Bischof Willy Welsh lieber, der von notwendigem Nachdenken spricht.
Ich habe sogar dafür kämpfen müssen, dass die im Kloster verstorbenen Magdalenen ein Grab und einen Namen bekommen, sie waren in einem anonymen Massengrab beerdigt worden. Die Schwestern hatten wunderschöne Grabsteine und Rosen.
Mary, weinen Sie nicht, erzählen Sie. »Was? Dass ich nicht mehr zur Messe gehe, meine Schwestern auch nicht? Ich glaube noch an Gott, aber nicht mehr an die Kirche. Ich will keine Messe, wenn ich sterbe, ich wollte auch keine, als ich geheiratet habe. Ich sehe mich als Christin, nicht als Katholikin, ich muss glauben. Denn die, die uns das Leben geraubt haben, dürfen nicht das Paradies finden.«

Dieser Film lief im Xenon im März 2003

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