Xenon Kino Berlin

Filmkunstkino in Berlin-Schöneberg

Nur eine Frau
D 2019 • 97 Min. • frei ab 12
Regie: Sherry Hormann
Buch: Florian Oeller
mit: Almila Bagriacik, Rauand Taleb, Meral Perin, Mürtüz Yolcu, Armin Wahedi, Aram Arami, Jacob Matschenz, Idil Üner (s.a. »Evet, Ich will!« (2008) und »ZweiOhrKüken« (2007) und »Dealer« (1999)
Kamera / Bildgestaltung: Judith Kaufmann (s.a. »Das Lehrerzimmer« (2022) und »The Look« (2011) und »Die Fremde« (2010) und »Vivere« (2007) und »Vier Minuten« (2006) und »Fremde Haut« (2005))
Schnitt:/ Montage: Bettina Böhler (s.a. »Rosie« (2013) und »The Look« (2011) und »Vivere« (2007) und »Verfolgt« (2006) und »Fremde Haut« (2005))
Musik: Fabian Roemer

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Mitten in Berlin wird Aynur von ihrem Bruder Nuri auf offener Straße erschossen. Arglos hat sie ihn zur Bushaltestelle begleitet, wenige hundert Meter entfernt in der Wohnung schläft ihr fünfjähriger Sohn Can. Wie ist es zu dieser Tat gekommen? Aynur erzählt ihre Geschichte: Es ist die Geschichte einer selbstbewussten jungen Frau, die das Leben liebt und die genau weiß, wie sie es leben möchte. Die der Gewalt in ihrer Ehe entflieht und sich auch von ihren Brüdern und Eltern nicht vorschreiben lässt, was sie zu tun hat. Sie sucht sich und Can eine eigene Wohnung, macht eine Lehre, geht aus und lernt neue Freundinnen und Männer kennen. Sie weiß, dass sie sich damit gegen die Traditionen ihrer Familie stellt und sich selbst in Gefahr bringt, doch ihr Drang nach Freiheit ist größer. Bis die Beleidigungen und Drohungen ihrer Brüder immer ernster werden. Und es irgendwann zu spät ist ...

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Emotional und eindringlich kommt Aynur selbst zu Wort und erzählt die Geschichte ihres eigenen Lebens und ihres Todes. Es ist die Geschichte Hatun Aynur Sürücüs, deren Ermordung 2005 für einen Aufschrei sorgte. Basierend auf Recherchen in ihrem persönlichen Umfeld, Gerichtsakten, bislang unveröffentlichten Gesprächen mit der Familie, den Tätern, Freundinnen und Freunden Aynurs und der bis heute im Zeugenschutzprogramm befindlichen Kronzeugin entwirft der Film das authentische Bild einer lebenshungrigen, freiheitsliebenden und mutigen jungen Frau, die darum kämpft, selbstbestimmt leben zu können. Doch als Deutsche mit türkisch-kurdischen Wurzeln befindet sie sich im ständigen Konflikt zwischen den Werten ihrer Familie und ihrer eigenen Lebenseinstellung ...

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Statement von Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates

Hatun Sürücü wurde brutal von ihrem Bruder ermordet. Höchstwahrscheinlich ist, dass weitere Familienangehörige bei der Hinrichtung Aynurs, wie sie genannt wurde, mitgewirkt haben. Wohlwissend, dass Aynurs fünfjähriger Sohn sich zum Tatzeitpunkt alleine in der Wohnung befand. Ein Bruder hat seine Schwester getötet und seinem Neffen die Mutter genommen. Wenn solch eine Familie sagt, wie wichtig ihnen „die Familie“ ist, löst das ein merkwürdiges
Gefühl aus. Was für eine Definition von Familie haben sie? Meinen sie mit „Familie“ die Strukturen, in denen jeder und jede funktionieren muss, wie die Männer es wollen, oder sie werden getötet? Meinen sie, dass Frauen und Kinder keinen Wert haben – außer sie ergeben sich psychisch und physisch? Es erscheint mir nicht richtig, wenn Menschen wie diese von Familie und Ehre sprechen. Wenn man in der Lage ist, ein Familienmitglied zu töten, welches nicht der Norm ihrer Vorstellung von Familie entspricht, dann geht es nicht um familiäre Liebe, sondern um Macht und Ego.

Diese Tat hat, wie kein anderer Fall von Ehrenmord in Deutschland, die Augen vieler Menschen dafür geöffnet, was in manchen muslimischen Familien aus religiösem und traditionellem Fanatismus heraus geschieht. Nun sind 14 Jahre vergangen. Can, der Sohn von Hatun Sürücü, ist ein junger Mann geworden. Wir wissen nicht, was er macht oder wie es ihm geht. Wir können hoffen, dass er irgendwann die Wahrheit über den Tod seiner Mutter erfährt und die sogenannte Familie ihn nicht daran hindert, sie so zu sehen, wie sie war. Sie war nicht einfach „nur eine Frau“. Aynur war eine Mutter, die ihren Sohn liebte und ein Mensch, der in Würde leben und lieben wollte, wie sie wollte und wen sie wollte. Leider müssen viele muslimische Frauen, auch in Deutschland, in ganz Europa, noch gleiches ertragen. Manch eine verlässt die sogenannte „Familie“, um an einem sichereren Ort in Würde zu leben. Manch eine hat nicht genug Kraft und Selbstwertgefühl, um sich zur Wehr zu setzen.

Als Anwältin, die Frauen hilft, ihren eigenen Weg zu gehen, ihr eigenes Leben zu leben, kann ich nur sagen, dass der Kampf deshalb so schwer ist und wir nur kleine Schritte vorankommen, weil wir diesen Kampf nicht nur gegen brutale und machtbesessene Männer führen, die direkt von den Strukturen profitieren, sondern auch gegen Frauen, die in diesen Strukturen kein Problem sehen, von ihnen ebenfalls profitieren und am Ende Frauen wie Hatun Sürücü verurteilen, ebenso wie die Männer es tun. Leider muss ich auch mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass wir auch so manchen Kampf gegen „weiße Europäer“ führen müssen, die sich am Begriff Ehrenmord stoßen, das Kopftuch als Symbol der Freiheit und des Feminismus bezeichnen und die Anzahl der Zwangsehen und Kinderehen als derart gering einschätzen, dass kein großer Handlungsbedarf gesehen wird. Bei vielen Politikern überwiegt zudem die Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden, wenn man Menschenrechtsverletzungen in muslimischen Familien deutlich benennt und bekämpft.

So bleibe auch ich an manchen Tagen ratlos zurück. Wie viele Frauen müssen noch sterben, nur weil sie leben wollen wie sie es wollen und lieben, wen sie lieben wollen? Ich bin dankbar für diesen Film. Er wird vielen Mädchen, jungen und älteren Frauen helfen, dessen bin ich mir sicher. Denn jede öffentliche Thematisierung zeigt ihnen, dass sie nicht allein sind auf dieser Welt. Solche Filme zeigen, dass wir um ihr Leid wissen und sie sich Hilfe suchen können.

Der Film „Nur eine Frau“ sollte in jeder Schule in Deutschland gezeigt werden. Als Mahnmal und in Verehrung für die Liebe und für das Leben, egal welchen Geschlechts man ist, egal, aus welcher Kultur und Religion/Weltanschauung man kommt. Dieser Staat hat uns in Art. 3 GG das Versprechen gegeben, sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen, ganz unabhängig von Kultur, Religion und Weltanschauung. Es gibt noch viele Frauen, die so leiden wie Aynur, viel zu viele. Ihnen gebührt unsere Unterstützung.

Dieser Film lief im Xenon im 2019

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